Reden Frauen tatsächlich mehr als Männer?
Ein Mann ein Wort, eine Frau ein Wörterbuch – so lautet das Klischee. Fast dreimal geschwätziger als das männliche sei das weibliche Geschlecht, hieß es immer und dass Frauen am Tag etwa 20.000 Wörter absondern, Männer hingegen nur 7.000.
Die US-amerikanische Neurologin Louann Brizendine beispielsweise nennt diese Zahlen in ihrem viel beachteten Buch „Das weibliche Gehirn. Warum Frauen anders sind als Männer“. Wer diese Zahlen in die Welt gesetzt hat, bleibt ein Mythos.
Ein Linguist der University of Pennsylvania Mark Liberman, vermutet, dass ein Paar-Berater die Zahlen erfunden hat, um typische Streitereien zwischen Eheleuten anschaulicher zu machen. Etwa nach rel=“lightbox“ diesem Muster: „Ein Mann kommt nach der Arbeit nach Hause und hat schon 6850 seiner 7000 Wörter verbraucht, während die Frau ihn mit ihren noch übrigen 13.780 Wörtern empfängt. Er will seine Ruhe – sie will reden.“
Die wissenschaftliche Basis für diese Behauptung ist sehr dünn. Bisher wurden in keiner Studie die tatsächlichen Gespräche über eine längere Zeit aufgenommen. Einen neuen Ansatz haben Matthias Mehl und seine Kollegen. Das Team um den deutschen Psychologen hat zwischen 1998 und 2004 fast 400 Studenten aus den USA und Mexiko untersucht – mit einem selbst entwickelten Spezialrekorder, der die Gespräche aufzeichnete. Ergebnis der Studie (veröffentlicht in Science: „Are Women Really More Talkative Than Men?“): Männer und Frauen sprechen im Durchschnitt ungefähr gleich viel, etwa 16.000 Wörter pro Tag.
Berücksichtigen muss man dabei allerdings nicht nur den Charakter der Leute, sondern auch die Situation, in der sie sich befanden. Mehl erzählte von seinem Flug über den Atlantik. Er hatte zehn Stunden lang kaum mehr als „Vielen Dank“ und „Ein Glas Wasser, bitte“ gesagt. Umgekehrt kann man sich vorstellen, dass ein Kundenberater oder Lehrer in der gleichen Zeit sehr viel zu erzählen hat.
Müssen jetzt die Ratgeber in den Mülleimer wandern? Haben Männer und Frauen doch ein ähnliches Kommunikationsverhalten? Dazu müsste man natürlich wissen, was und wie die Leute reden. Plant er den Krieg, während sie Streit schlichtet? Zeigt sie Verständnis, während er Ratschläge erteilt? Matthias Mehl hat die Situationen noch nicht ausgewertet. Es bleibt offen, ob Männer bei der Arbeit mehr als zu Hause sprechen und umgekehrt, ob Frauen viel mehr Wörter mit ihrer besten Freundin als im Meeting verschwenden.
Aber er hat sich angesehen, worüber Männer und Frauen reden und fand rollentypische Muster durchaus bestätigt: „Männer sprechen mehr über Technik, Sport oder Finanzen und Frauen mehr über Mode, Partner, Familie und Freunde.“ Offensichtlich sind Frauen im Durchschnitt tatsächlich eher beziehungs- und Männer eher sachorientiert. Diese Interpretation unterstützt auch die Tatsache, dass die bespitzelten Männer häufiger konkrete Zahlen nannten und die Frauen mehr Personalpronomen („ich“, „wir“, „er“, „sie“) benutzten.
Auch wenn der Paartherapeut falsche Zahlen verbreitet hat, mit der Analyse typischer Konfliktsituationen in Beziehungen hatte er Recht. Relativ gut erforscht ist nämlich ein Phänomen, das Psychologen „Demand-and-Withdrawl“-Verhalten nennen: Die Frau fordert ein Gespräch nach dem Muster, „Wir müssen darüber reden“. Der Mann dagegen zieht sich emotional und verbal zurück. Dieser Zusammenhang könnte, glaubt Matthias Mehl, auch das Märchen von der geschwätzigen Frau erklären. Aus „Meine Frau will ständig über unsere Probleme reden“, wäre dann das verkürzte „Meine Frau redet ständig“ entstanden.
Doch ist das nur Spekulation. So wie Mehl auch davor warnt, die empirisch nachgewiesenen Unterschiede zwischen den Themen, über die Frauen und Männern reden, überzubewerten. Männer und Frauen sind sich im Durchschnitt deutlich ähnlicher als es zwei zufällig ausgewählte Männer oder zwei zufällig ausgewählte Frauen sind. Aus irgendwelchen Gründen neigen Menschen dazu, Geschlechtsunterschiede gerne mit einem Vergrößerungsglas anzuschauen.
Vielleicht müssen die Ratgeber nicht komplett umgeschrieben werden, aber sie sollten doch anerkennen, dass es auch ein paar Männer auf der Venus und ein paar Frauen auf dem Mars gibt.